Trip nach Otavalo & Ibarra

In den besten Reisebeschreibungen interessiert uns doch der Reisende am meisten, wenn er sich nur zeigen mag. Wer eine Reise beschreibt, beschreibt damit sich immer auch selber.
(Jean Paul)

Otavalo ist eine Stadt im Norden Ecuadors und eines der grössten Handelszentren für Kunsthandwerk in Lateinamerika. Jeden Tag verkaufen dort Händler Wollwaren wie Teppiche, Wandbehänge, Decken, Ponchos Pullover, Hängematten, Schnitzereien, Perlen und Gemälde. Am Samstag ist jedoch offizieller Markttag und der Markt nimmt das halbe Stadtzentrum ein. Meine Mitvolontärin Sophie und ich wollten uns diesen Markt ansehen und beschlossen, das Wochenende in Otavalo zu verbringen.

Am frühen Samstagmorgen erreichten wir Otavalo nach einer zweistündigen Busfahrt. Ich wollte unbedingt auf den Viehmarkt, der laut meinem Reiseführer ebenfalls jeden Samstag dort stattfindet. Sophie und ich waren uns bewusst, dass wir unschöne Dinge sehen würden, doch wir waren neugierig auf die Atmosphäre mitten unter quiekenden Ferkeln und Säcken voller Meerschweinchen.

Für einen Dollar konnte man einen Hundewelpen kaufen, der noch viel zu klein war, um von der Mutter getrennt zu werden. Die Küken wurden in Papiersäcken verkauft, als seien sie Äpfel oder Birnen.  Die süssen Meerschweinchen waren zum Schlachten und Essen gedacht und nicht, um als Haustier gehalten zu werden. Sophie und ich konnten fast nicht hinsehen, doch wir fanden es aufregend, auf einem richtigen lateinamerikanischen Tiermarkt zu sein.

Nach einer Stunde kam Lara, eine Freundin von Sophie, und schloss sich uns an. Zu dritt gingen wir auf den Kunsthandwerksmarkt. Für mich ist es noch immer sehr ungewohnt, dass man auf diesen Märkten feilschen muss. Die Händler sagen einen absichtlich hohen Preis, damit man ihn "hinuntermarkten" kann. Die Atmosphäre war einmalig und wir verbrachten den ganzen Nachmittag auf dem Markt.

Ein Verkäufer an einem Schmuckstand erzählte uns, dass er immer in Ecuador, Kolumbien und Brasilien auf den Märkten unterwegs sei. Er fragte uns, ob wir am liebsten Sterne, Blumen oder Musik hätten. Sophie und ich sagten Musik und Lara sagte Blumen, woraufhin der Mann uns aus einem Stück Draht einen entsprechenden Ring bastelte.

Wir übernachteten in einem günstigen, aber sehr komfortablen Hostel im Zentrum von Otavalo. Am Sonntagmorgen brachen wir früh auf, weil wir den Wasserfall "Cascada de Peguche" besichtigen wollten, der sich ausserhalb von Otavalo befindet. Wir spazierten durch einen wunderschönen Naturpark und erreichten schliesslich den Wasserfall.

Natürlich hätte es in und um Otavalo noch vieles zu besichtigen gegeben, doch wir entschieden uns, mit dem Bus nach Ibarra weiterzufahren. Ibarra ist eine Stadt noch weiter nördlich, fast an der Grenze zu Kolumbien. Wir waren neugierig, weil wir im Reiseführer gelesen hatten, dass die gesamte Stadt weiss getüncht sein soll. Als wir ankamen, waren wir jedoch ernüchtert. Es hatte zwar viele weisse Häuser, doch wahnsinnig spektakulär sah es nicht aus. Wir besichtigten einige Kirchen und gingen dann in "die beste Eisdiele in ganz Ecuador", die sich laut unserem Reiseführer in Ibarra befinden soll.

Ich hatte gelesen, dass der Inkakönig Huayna Capac im 15. Jahrhundert zwei Kilometer ausserhalb des heutigen Ibarra einen Sonnentempel errichten liess. Sein Sohn Atahualpa, der letzte Inkakönig, soll in diesen Gemäuern geboren worden sein. Der Komplex war auf vier Terrassen gebaut und von einer sind heute noch unter der Gemeindekirche "Iglesia del Señor del Amor" Grundmauern vorhanden. In meinem Reiseführer steht, dass sich hinter der Kirche der Garten der Familie Flores befindet. Man könne an die Haustüre klopfen und dann werde man in den Garten geführt, in dem noch rund 60m der Ostmauer der einst grössten Tempelterrasse vorhanden seien. Zitat aus meinem Reiseführer: "Einige trapezförmige Fenster und Türen sind noch derart gut erhalten, dass man meint, den unsterblichen Blick Atahualpas im Nacken zu spüren."

Dies machte mich natürlich neugierig und ich wollte die Überresten des Tempels unbedingt sehen. Sophie und Lara sind nicht so geschichtsinteressiert wie ich, doch ich konnte sie schlussendlich überreden hinzugehen.

Die Kirche "Iglesia del Señor del Amor"

Wir kamen uns seltsam vor dabei, an die Tür eines privaten Hauses zu klopfen und zu fragen, ob wir den Garten besichtigen dürfen. Ein Mann mittleren Alters öffnete, den wir gerade beim Essen gestört hatten. Als wir ihn fragten, ob wir reinkommen dürfen, zögerte er einige Sekunden, sagte dann aber: "Also gut, kommt!".

Wir traten ein, gingen quer durchs Haus und fanden uns in einem riesigen Garten wieder, der von antiken Mauern umgeben war.

Der Mann fragte uns, von wo wir kämen, was wir in Ecuador machten und erzählte uns, dass jede Woche Touristen kämen, um seinen Garten anzuschauen. Sophie und Lara waren von den Mauern zwar nicht so fasziniert wie ich, doch sie fanden die Besichtigung des Gartens bei einer Familie, die wir nicht kannten, ebenfalls ein lustiges Erlebnis.

 

Als wir nach Ibarra zurückkehrten, war es bereits später Nachmittag und so nahmen wir den Bus zurück nach Quito. Wie nach jedem Ausflugswochenende bin ich todmüde, aber zufrieden, so viel neues gesehen und erlebt zu haben.

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